Die ersten Hüpfer
Die ganze Mühe bei den vielen Baustunden war doch immer nur Mittel zum Zweck, denn man wollte ja unbedingt fliegen. Die Neustädter Luftsportler hatten es da im Vergleich zu anderen Fliegerclubs noch gut. Denn in unmittelbarer Nähe zur Stadt lagen zwei geeignete Übungshänge. Entweder das Rederkreuz oder der Grasberg zwischen Salz und Mühlbach wurden je nach Windrichtung als Fluggelände ausgewählt. Beide Hügel hatten viel Freigelände um sich, so dass man gefahrlos bis zur Landung geradeaus gleiten konnte.Sie waren von der Stadt aus aber trotzdem gut zu erreichen. Weil am Fluggelände noch keine Unterstellmöglichkeit für die Maschine zur Verfügung stand, musste sie für jeden Flugversuch von der Stadt aus entweder den Grasberg- oder den Rederkreuzhang hinauf geschleppt werden.
Das bedeutete, dass man sich frühmorgens um 5 Uhr treffen musste, wenn man einen Flugversuch wagen wollte. Die Flugpioniere in Bad Neustadt müssen also wirklich von ihrer Leidenschaft besessen gewesen sein, um diese Strapazen auf sich zu nehmen. Auf dem Bild schleppen sie gerade das zerlegte Flugzeug zum Grassberg hinauf. Über den Tälern und über der Stadt liegt noch der Morgennebel. zerlegtes Flugzeug auf Hänger
Das Flugzeug ist auf dem Grasberg angekommen.
Wenn die Flieger endlich oben am Hügel angekommen waren, konnten sie nicht sofort starten, sondern nun musste der Transportwagen erst entladen werden. Dann wurde das Flugzeug sorgfältig zusammengebaut. Das war bei der damaligen Bauweise eine sehr zeitraubende Angelegenheit. Während der ganzen Arbeit wurde der Wind argwöhnisch oder auch hoffnungsvoll beobachtet. Denn, wenn die Windrichtung sich ändern sollte, war es aus Sicherheitsgründen notwendig, z.B. vom Rederkreuz zum Grasberg zu wechseln. Dann begann die ganze Arbeit von vorne. Vielleicht waren es gerade diese gemeinsamen Anstrengungen, die die Neustädter Fliegergruppe zu einer verschworenen Gruppe zusammenwachsen ließ. Die sprichwörtliche Fliegerkameradschaft entstand wahrscheinlich dadurch, dass sich jeder, besonders beim Aufbau des Flugzeugs, auf die sorgfältige Arbeit des anderen unbedingt verlassen können musste.
Flugzeugaufbau am Rederkreuz 1 Flugzeugaufbau am Rederkreuz 2 Flugzeugaufbau am Rederkreuz 2
Fast geschafft! Nach vielen Stunden Arbeit ist das Flugzeug nun bald startbereit. Die beiden linken Bilder stammen vom Rederkreuz. Das rechte Foto ist am Grasberg entstanden.
Wenn ein junger Neustädter das Fliegen lernen wollte, musste er schon sehr viel Mut mitbringen. Denn die ersten Schulflüge konnten damals nicht, so wie es heute üblich ist, gemeinsam mit einem Fluglehrer unternommen werden, sondern der Anfänger war ganz allein auf seinem "Bock", wie man das schmale Brett nannte, auf dem der Pilot saß. Ebenso gab es keine Cockpitverkleidung, sondern es wurde offen geflogen, weil man glaubte, dass der Flieger den Wind im Gesicht spüren muss. Einzige Sicherheitseinrichtung war ein Helm aus Leder und ein Anschnallgurt, falls einmal nicht alles "glatt" gehen sollte. Der Fluglehrer stand am Hang und dirigierte den Flugschüler durch laute Zurufe, in der Hoffnung, dass dieser die Anweisungen trotz Aufregung und Stress auch konsequent umsetzt.
Herr Schirber demonstriert die richtige Flughaltung Auf dem Bild links zeigt der junge Ehrhard Schirber die Starthaltung in vorbildlicher Weise. Die rechte Hand führt den Steuerknüppel, mit der linken musste man sich oben am Flächenholm festhalten, um den Stoss beim Katapultstart mit dem Gummiseil abzufangen. Der Pilot war nur mit zwei Schultergurten gesichert, einen seitlichen Halt gab es nicht. Weil diese "Lehrmethode" doch sehr risikoreich war, musste der Flugschüler zuerst am Boden mit sogenannten Pendelübungen beginnen. Dazu stand das aufgerüstete Flugzeug am Hang.
Wenn der Wind stark genug war, konnte der Pilot das Flugzeug mit Ruderausschlägen so steuern, dass die Flächen den Boden nicht berührten. Erst, wenn es einem Anfänger gelang, ein Flugzeug am Boden im Wind gerade zu halten, so dass es nicht mehr seitlich abkippte, war er reif für den ersten Alleinflug. Pendelübung am Hang gegen den Wind
Das Startverfahren war damals vor 65 Jahren natürlich nicht so einfach wie heute. Da es noch keine motorgetriebene Winde gab, musste das Flugzeug mit Muskelkraft in die Luft gebracht werden. Die Seilmannschaft zog meist ein Gummiseil hangabwärts aus, an dem die startbereite Maschine eingeklinkt war. Damit das Flugzeug nicht starten konnte, bevor das Seil richtig gespannt war, mussten Helfer am Heck die Maschine festhalten. Auf Kommando wurde sie von der Haltemannschaft freigegeben und war durch diesen katapultartigen Start nach wenigen Metern in der Luft. Weil die Beschleunigung für den Piloten dabei doch recht stark war, musste er sich auf der vorher gezeigten Art festhalten.
Gummiseilstart, ausziehen des Seils
Startvorbereitungen: Das Seil wird gerade ausgezogen. Im Hindergrund der Kreuzberg.
Gummiseilstart, festhalten des Flugzeugs
Die Haltemannschaft am Heck "krallt" sich in den Boden.
Meist dauerte der anschließende Flug nur wenige Sekunden. Einen Kreis so dicht und so niedrig am Hang zu fliegen war nicht ratsam und konnte für den Piloten tödlich enden. So war nur ein kurzer "Lufthüpfer" im Geradeausflug möglich. Der Personalaufwand für einen kurzen Flug war damals doch sehr groß. Aber die Erwartung bald auch einmal an die Reihe zu kommen, hielt die meisten der flugsport-begeisterten Neustädter Jugendlichen bei der Stange.
http://geschichte.aeroclub-bad-neustadt.de/gesch_erste_h.html © R. Bieber, M. Zacher 2003