Die Gründung des Aero Clubs Bad Neustadt
Am 01. August 1950 wurde die "Interessengemeinschaft für Segelflug" Bad Neustadt in der Gaststätte Zwinger-Bräu gegründet.
 
Schlicht und einfach liest sich diese Meldung heute. Aber hinter diesem Satz steckt eine bewegte und spannende Geschichte. Außerdem, so steht zumindest heute fest, haben die Gründungsmitglieder damals illegal gehandelt. Denn die Gründung und auch die Mitgliedschaft in Flugsportvereinen war fünf Jahre nach Kriegsende nicht erlaubt. Deshalb muss man sich die Verhältnisse und die Lebensumstände in den Jahren 1949/50 vorstellen, um zu ermessen, wieviel Mut und Leidenschaft notwendig waren, um sich vier Jahre nach dem verlorenen Weltkrieg wieder zur Fliegerei zu bekennen. Aber auch die Bedenken und die Angst der Gründerväter werden wieder lebendig, wenn der Augenzeuge Erwin Wittwer, der die Geschicke des Aero Clubs Bad Neustadt von der Gründung bis heute begleitet und maßgeblich bestimmt hat, erzählt.
 
Das Leben in der Nachkriegszeit war schwierig. In der allerersten Zeit war es damit ausgefüllt, die Familie zusammenzuführen, eine Wohnung zu organisieren, für die tägliche Ernährung zu sorgen, wieder Fuß im Beruf zu fassen. Bad Neustadt war damals durch die Preh- und die neuen Siemensweke als Arbeitsplatz attraktiv. Viele Flüchtlinge und Kriegsheimkehrer versuchten deshalb hier unterzukommen.
Nachdem die ärgsten Nöte beseitigt waren, kam das Gespräch an der Arbeitsstelle unter den Beschäftigten ganz zufällig öfters auf Themen wie "was hast Du vor dem Krieg gemacht", oder, "bei welchem Truppenteil hast Du gedient" usw. Über diese eigentlich belanglosen Gespräche, so erinnert sich Erwin Wittwer, lernten sich ehemalige Luftwaffenangehörige und Flugsportinteressierte, die als Jugendliche vor dem Krieg schon mit der Segelfliegerei begonnen hatten, zufällig kennen.
Bald traf man sich auch in der Freizeit zum Fachsimpeln und zum Gedankenaustausch. Als regelmäßiger Treffpunkt wurde die Gaststätte "Zwinger-Bräu" gewählt. Dort konnte man beim damaligen Pächter Wüstemann einen Flieger-Stammtisch einrichten, ohne dass dies andere Gäste bemerkten. Dieser Stammtisch war auch nicht durch ein entsprechendes Schild gekennzeichnet. Trotzdem kamen durch die Mund-zu-Mund-Propaganda immer mehr Fluginteressierte zu diesen regelmäßigen Treffen. Natürlich kreisten die Gedanken dieser "Flieger am Boden" nur darum, wie man dieses Hobby wieder pflegen könnte. Aber durch die alliierte Kontrollratsdirektive Nr. 23 bestand keinerlei Hoffnung mit der Fliegerei in absehbarer Zeit wieder beginnen zu können. Die Ziffer 2 dieser Direktive legt fest:
"Die Leitung und Weiterentwicklung aller militärischen athletischen Organisationen unter der deutschen Bevölkerung ist verboten. Dieses Verbot bezieht sich namentlich auf Flugübungen, Fallschirmabsprung, Segelflug, Fechten.... oder Schießen mit Feuerwaffen."
Auch die Gründung von Flugsportvereinigungen war durch die Alliierten verboten. Die "Neustädter Flugstammtischler" ahnten und hofften wie viele andere Gleichgesinnte in Deutschland, dass dieses Verbot nicht mehr sehr lang Bestand haben wird. Ihre Hoffnung gründete auch auf einer Pressenotiz vom 26. 9. 1949:
"In Halle/Saale wurde jetzt die erste Segelfliegergruppe der FDJ gegründet. Ihre Ausstattung ist von den Sowjets unterstützt worden."
Man vermutete, dass nun die Westallierten bald nachziehen müssten und ab Beginn des Jahres 1950 wurden die Überlegungen eine "Interessengemeinschaft Segelflug" zu gründen immer konkreter. Die aufkeimenden Hoffnungen wurden aber wieder gedämpft durch B.E. Steadman, Lt.Col. USAF, Chief, Liaison Branch:
"Segelflug bleibt verboten, bis die Gouverneure davon überzeugt sind, dass der deutsche Segelflug Sport bleibt."
Auch die Fliegergruppe in Bad Neustadt, die eigentlich nichts anderes im Sinn hatte, als friedlichen Segelflugsport zu betreiben, und der dennoch bewusst war, dass sie sich in der Illegalität befand, erlebte bange und angespannte Momente wie sich Erwin Wittwer an eine Begebenheit damals erinnert:
"Wie so oft saßen wir abends in der Zwingergaststätte bei Wüstemann. Wir fachsimpelten und diskutierten über die Probleme, die uns ständig bewegten;... Zusammenschluss zu einem Verein, Flugzeugbau, Erwerb von Lizenzen, usw.......... Da ging die Tür der Gaststätte auf und herein trat ein Mann, der uns bekannt war. Er nahm ausgerechnet am Nebentisch in unserer direkten Nachbarschaft Platz. Sofort verstummten unsere bis dahin so munteren Gespräche und wir schwiegen betreten. Der Mann war Günther Voltz; er war Deutsch-Amerikaner und Angehöriger der amerikanischen Militärverwaltung. Natürlich dachten in unsrer Runde alle sofort, dass wir verpfiffen worden sind und dass es nun vorbei ist mit unseren Träumen. Auch Angst vor möglichen persönlichen Folgen mischte sich in unser betretenes Schweigen. Nach einer Weile rutschte Günther Voltz noch näher heran und sprach uns an. Er suche die Fliegergruppe und möchte gerne mitmachen, weil er am Segelflug sehr interessiert sei. Da löste sich nach einer Weile unsere Anspannung und im Laufe des Abends hatten wir ein sehr interessantes Gespräch. Wichtig war für unsere Gruppe aber, das wir ein neues einflussreiches Mitglied direkt in der amerikanischen Miltärverwaltung gewonnen hatten. Günther Voltz wurde dann später übrigens zu unserem 1. Vorsitzenden gewählt und hatte dieses Amt solange inne, bis er in die Staaten zurückkehrte."
Im Frühsommer 1950 bekam das Geschehen eine eigene Dynamik. Obwohl das Geschehen immer noch illegal war getraute man sich in der Ausgabe der Rhön- und Saalezeitung vom 1. 6. 1950 zum ersten Mal öffentlich zu den Treffen der Interessengemeinschaft für Segelflug einzuladen. Zeitungsausschnitt: Einladung zu regelmäßigen Treffen
Behilflich bei allen Veröffentlichungen war von Anfang an Karl Rötter, der Inhaber der Zeitung. Karl Rötter war schon bei der Fliegergruppe vor dem Krieg aktiv dabei. Er konnte später der Interessengemeinschaft bei der Suche nach Fluggelände viele Tipps und Hinweise geben. Nachdem auf die erste öffentliche Zeitungsmeldung keine negativen Massnahmen von den Alliierten erfolgten, konnte man nun bald die Vereinsgründung ins Auge fassen. Zudem wurde man bestärkt durch Hinweise, das in anderen Landesteilen, besonders an den Standorten, an denen schon vor dem Krieg Segelflug betrieben wurde, sich ebenfalls Flugsportinteressierte in lockeren Vereinigungen zusammenfanden.
 
Den letzten Anstoss gab das Gerücht, dass vom 4. bis 6. August in Gersfeld und auf der Wasserkuppe ein genehmigtes Treffen der Segelflieger stattfinden sollte. Dabei soll ein neuer Luftsportverband gegründet werden.
Als sich dieses Gerücht bestätigte verloren die Bad Neustädter keine Zeit mehr. Per Zeitungsmeldung wurden alle Interessiereten zur Gründungsversammlung am Dienstag, 1. August in den Zwinger-Bräu eingeladen. Zeitungsausschnitt: Einladung zur Vereinsgründung
Obwohl die Gründung von Flugsportvereinen immer noch illegal war, wollte man in Gersfeld schon mit Flugsportmitgliedern antreten, um damit den neuen Luftsportverband entsprechend zu unterstützen. An diesem Dienstagabend, den 1. August im Jahre 1950 wurde die "Interessengemeinschaft Segelflug" in Bad Neustadt offiziell gegründet. 11 Personen traten dem neuen Verein bei. Zum 1. Vorsitzenden wurde Günther Voltz gewählt. 2. Vorsitzender war Karl Exner. Schriftführer wurde Erwin Wittwer, der aus dem Sudetenland kam und in Bad Neustadt eine neue Heimat gefunden hatte. Sein eigentliches "Zuhause" wurde aber von nun an der Aero Club, dessen Werdegang bis Anfang 2002 eng mit der Person von Erwin Wittwer verbunden ist.
http://geschichte.aeroclub-bad-neustadt.de/gesch_gruendung.html © R. Bieber, M. Zacher 2003